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Vom 24. bis 28. September habe ich einen Kurztrip nach Bormio und Stilfser Joch unternommen. Ziel war der Anstieg von Bormio zu Umbrail und Gavia. Aber vor allem von Prad zum Stilfser Joch.

Gutes Wetter spät im Jahr

Zwischen den beiden Events RiderMan in Bad Dürrheim und Saisonfinale am Bodensee hatte ich noch fünf Tage Platz. Ich würde nicht den weiten Weg zurück nach Hause fahren, das war klar. Sollte das Wetter gut werden, dann wollte ich zum Stilfser Joch, dem Passo Stelvio. Im vergangenen Jahr mußte ich die Auffahrt wegen Nässe und Kälte ausfallen lassen. Diesmal sah die Vorhersage gut aus. Und Sonntag war klar: sie blieb gut! Sonne! Dienstag bis 15 Grad und dann jeden Tag mindestens 20 Grad! In Prad war kein Zimmer mehr zu bekommen aber Bormio liegt eigentlich sowieso viel besser. Außerdem kann ich von Bormio aus auch den Gavia nachholen, der im letzten Jahr ebenfalls ausgefallen war. Von Bad Dürrheim nach Bormio dauerte die Fahrt zwar fast fünf Stunden, doch ich hatte auch fünf Tage zu überbrücken, von Montag bis Freitag. Die Entscheidung war gefallen.

Nach Bormio

Montagfrüh brach ich auf nach Bormio. Ein Stopp am Rheinfall in Schaffhausen und drei Pässen mit jeweils deutlich über 2.000 Metern, die ich mit dem Auto locker nahm. Dann kam ich am späten Montagnachmittag überglücklich in Bormio an.

Die Eingewöhnung

Komoot empfahl „Eingewöhnen in der Höhe“ und „langsam beginnen“. Also startete ich Dienstag mit einem kurzen Einrolltrip zu den Torri di Fraele. Die Strecke hatte  nur knapp 45 Kilometer. Dafür war es eine Sackgasse fast ohne Verkehr und mit wunderschönen Serpentinen. Ein toller Tip von Komoot!

Tour zu Umbrail und Stilfser Joch

Mittwoch war der lang ersehnte Tag gekommen. Schon drei Jahre lang hängt das Foto der legendären Serpentinen vor der Paßhöhe bei mir im Wohnzimmer. Und jetzt ging es wirklich los. Der „richtige“ Anstieg beginnt in Prad. Dahin mußte ich erst noch fahren. Und wie? Natürlich über den Umbrail. Die Straße zum Umbrail war nicht stark befahren. Der Anstieg war trotz Sonnenschein kühl aber wunderbar. Kurz vor der Paßhöhe gabelt sich die Straße und ich konnte den Gipfel des Stilfser Jochs von der „Rückseite“ sehen. Etwas später würde ich auch dort sein.  Die Paßhöhe des Umbrail war praktisch menschenleer. Wahrscheinlich fährt aufgrund der Nähe zum Stilfser Joch kaum jemand auf den Umbrail.

Abfahrt vom Umbrail

Schnell das obligatorische Foto mit Paßschild gemacht, dann Jacke an und rein in die Abfahrt. War das kalt! Der Anstieg lag zum Großteil in der Sonne. Diese Seite lag deswegen fast komplett im Schatten. Wie kalt wurden meine Hände! Auch bei 20 Grad im Tal ist Abfahren in den Alpen kein wirkliches Vergnügen. Irgendwann hatte ich die Abfahrt endlich geschafft und irgendwann wurden auch meine Hände wieder warm. Nach Prad ging es praktisch ständig bergab. Das half. Ehe ichs richtig mitbekam lag Prad hinter mir und der Anstieg begann.

Anstieg zum Stilfser Joch

Bis Gomagoi war ich schon im letzten Jahr gefahren. Der Gletscher leuchtete in der Ferne in der Sonne. Die Straße führte im wesentlichen geradeaus. Ich erschrak. Eine junge Frau überholte mich grüßend. Ich war weggeträumt. Die Beine fühlten sich gut an. Ich sah sie noch eine ganze Weile vor mir fahren. Sie war nur wenig schneller. Die erste Serpentine, Nummer 48. Und weiter. Ein junger Mann überholte mich. Der Abstand zu beiden wurde größer. Bald waren sie verschwunden. Die Beine fühlten sich weiterhin gut an. Trotzdem ging es schwerer und schwerer.

Der Gedanke zu halten kam auf. Noch zehn Kilometer. Die Beine fühlten sich immer noch gut an. Trotzdem wurde es immer schwerer. An der Franzenshöhe, zu Beginn der letzten Serpentinen wollte ich einen Stopp einlegen. Schließlich fuhr ich alleine und niemand hetzte mich. – „Nein. Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich fahre so lange es geht.“ – Und es ging. Ich fuhr weiter und weiter. Franzenshöhe. Kehre 22. Das können doch keine sechs Kilometer mehr sein!

Weiter. In jeder Kehre raufschalten und in den Wiegetritt. Dann wieder runterschalten und weiter. Kehre für Kehre. Eine weitere Schallmauer war geschafft: weniger als fünf Kilometer blieben. Serpentinen fahre ich gerne. Die fahren sich angenehmer als nur geradeaus. Landschaftlich ist es auch interessanter. Noch vier Kilometer. Dann noch drei. Immer noch drei! Wenn ich wenigstens schon unter zwei wäre. Endlich, die auf den Boden gemalte zwei Kilometer-Marke.

Es ist praktisch geschafft. Der letzte Kilometer. Die letzte Kehre. Ich war richtig ausgelaugt. Das mußte die Höhe sein, die mir zu schaffen machte. Nochmal kämpfen. Gleich bin ich oben. – Geschafft!

Auf dem Stilfser Joch

Das Gipfelprogramm ist Routine: Photo mit Paßschild, Photo der letzten Serpentinen, zwei Gipfel-Fanta und ein Kaffee. Und dann Souvenirs kaufen. Und Handschuhe. Blos nicht noch einmal mit kurzen Handschuhen abfahren. Ich fand Handschuhe. Es gab sogar Auswahl!

Die berühmten letzten Serpentinen vor dem Gipfel des Stilfser Joch

Nach einem ausgedehnten Stopp auf der Paßhöhe mit viel zu vielen Photos genoß ich die Abfahrt zurück nach Bormio. Das Stilfser Joch war endlich in meiner Pässesammlung!

Gavia

In meinem Übermut wollte ich Donnerstag die Südauffahrt des Gavia fahren. Das bedeutete zum „Warmfahren“ über den Mortirolo. Bereits am Vortag, bei der Rückkehr vom Stilfser Joch war ich skeptisch, ob ich die lange Strecke mit mehr als 100 Kilometern wirklich fahren sollte. Beim Aufwachen war endgültig klar, daß es die Minimalvariante werden würde: Gavia und zurück.

Ich wartete mit dem Losfahren bis es gegen halb elf etwas wärmer war. Das Kurbeln fiel schwer. Ich war noch ausgelaugt vom Stelvio. Auch die Anfahrt zum Gavia liegt sehr hoch. Die Höhe machte sich wieder bemerkbar. Es ging fast nur geradeaus. Einige wenige Serpentinen nach Santa Caterina und weiter geradeaus. Ich wartete auf die zwei Rampen mit zweistelligen Prozentwerten von denen ich bei „quäldich“ gelesen hatte. Wahrscheinlich hatte ich sie nicht bemerkt, dachte ich. Dann kamen sie doch noch. Vielleicht waren es sogar mehr als zwei. Ich mußte kämpfen. Es waren steile Rampen.

Nach den Rampen ging es bis zum Gipfel etwa vier Kilometer flach weiter. Dann war der letzte Gipfel bei meinem Abstecher nach Bormio erreicht. – Photo mit Paßschild, Gipfel-Fanta, Kaffee, wieder zu viele Fotos und Souvenirs. Das übliche Programm bevor ich locker mit meinen neuen Handschuhen vom Stelvio nach Bormio zurückrollte.

Einer der schönsten Pässe der Alpen

„Der Gaviapass ist nach unserer Meinung einer der absolut schönsten Pässe der Alpen.“ kann man auf der Website von „quäldich.de“ lesen. Ich sah nur verdörrtes Gras, Geröll und Felsen, eine Mondlandschaft. Schön ist definitiv anders. Ich bin den Gavia zu einem falschen Zeitpunkt gefahren. Mit grüner Landschaft und Schneeresten sieht alles sicherlich ganz anders aus.