Alles nur Marketing: Warum die Felgenbremse verschwunden ist

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Es ist alles einfach nur Marketing. Das ist der Hauptgrund, warum die Felgenbremse am Rennrad vom Markt verschwunden ist? Es war beim Lesen des Artikels in der Roadbike 03/2024 zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen für die Felgenbremsen. Mir kam der Gedanke, daß die Felgenbremse gezielt aus dem Markt gedrängt wurde. Aus der Perspektive von heute leuchtet dies absolut ein.

Die Felgenbremse ist gut

Bereits in früheren Artikeln habe ich beschrieben, warum für mich die Felgenbremse am Rennrad ihre Berechtigung hat. Ich denke, die Felgenbremse ist für Hobbyfahrer in den sehr vielen Fällen die sinnvollere Variante gegenüber der Scheibenbremse. Die Vorteile liegen vor allem im geringeren Gewicht, im günstigeren Preis und im einfachen technischen Handling. Der bekannte Nachteil der geringeren Bremseffektivität bei Nässe relativiert sich beim Hobbyfahrer. Für ihn ist der Reifengrip viel mehr der limitierende Faktor. Anders ausgedrückt: Hobbyfahrer fahren bei Nässe vorsichtig und achten auf den Grip. Die bessere Bremswirkung und die Möglichkeit des späteren Anbremsens der Scheibenbremse spielt bei mir bei Nässe fast keine Rolle. Im trockenen verlieren sich die Unterschiede sowieso.

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Bei kräftigem Regen fährt der Hobbyfahrer eher selten

Warum sollte die Felgenbremse vom Markt verdrängt worden sein? Was bringt es, den Rennrad-Markt neu aufzustellen? Ein Blick zurück.

Der Rennradmarkt vor 10 Jahren

Als ich vor etwas mehr als 10 Jahren angefangen habe, Rennrad zu fahren, drehte sich fast alles nur um das Gewicht. Die UCI hat festgelegt, daß ein Rennrad im Wettkampf nicht leichter als 6,8 Kilogramm sein darf. Ich erinnere mich, daß mein Einsteigerrennrad von Rose mit Dreifachkurbel 7,8 Kilogramm wog. Es kostete 1.700 Euro und hatte eine Ultegra Schaltgruppe.

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Im Anstieg nach Alpe d’Huez ist ein leichtes Rad gefragt

Die Situation der Hersteller damals

Das Rennrad mit Felgenbremse war ausgeplant und technologisch ausgereift. Es gab kaum noch Entwicklungsmöglichkeiten. Sehr viele Rennräder kratzten am Gewichtslimit. Kaum ein Rad war wirklich schwer. Im Grunde war der Unterschied zwischen den Gruppen sehr gering. Die Preise waren, verglichen mit heute, sehr günstig. In der Regel gönnte man sich die Ultegra Gruppe aus dem mittleren Preissegment. Diese Situation war natürlich nicht gut für die Hersteller und ihre Margen. Eine wesentliche Neuerung war nötig, um wieder Entwicklungspotential zu haben.

Die technische Neuerung kam und half

In diesem Umfeld tauchte die Scheibenbremse auf und bot viele Entwicklungschancen. Anfangs kostete sie etwa 500 Euro mehr bei etwa 500 Gramm Mehrgewicht. Dann kamen breite Reifen dazu, dann Aero-Felgen und Aero-Profile. Die Rennräder veränderten sich von Grund auf durch zahlreiche technische Neuerungen. Und wir Rennradfahrer lieben technische Neuerungen. Wahrscheinlich viel schneller als es sich die Hersteller in ihren kühnsten Träumen für möglich gehalten hatte, wurde der Markt auf den Kopf gestellt. Innerhalb weniger Jahre ist die Felgenbremse am Rennrad vom Markt verschwunden. Heute spielt sie praktisch keine Rolle mehr.

Der Markt heute

Heute hat das Preisniveau im Markt deutlich angezogen. Durch die Scheibenbremse wurden die Räder schicker. Die Optik bestimmt den Markt. Das Gewicht als Faktor wurde verdrängt. Rennräder mit dem Fokus auf das Gewicht gibt es auf dem Markt zur Zeit eigentlich nicht.

Praktisch kein Rennrad-Hersteller bietet noch ein Rad mit Felgenbremsen an. Maximal im Einsteigersegment. Und Räder am UCI-Gewichtslimit sind Ausnahmen geworden. Es gibt dafür sehr schicke Räder: Coole Rahmendesigns mit coolen Felgenprofilen beherrschen den Markt. Um in die Nähe des UCI-Gewichtslimit zu kommen, muß ich mich im Preissegment eines Kleinwagens umsehen. Technisch, also insbesondere im Gewicht, unterscheiden sich die Räder der drei Top-Gruppen wieder deutlich. Es macht wieder Sinn, für eine höherwertige Gruppe mehr Geld auszugeben. Die Spreizung zwischen den Gruppen ist wieder deutlich vorhanden. Es gibt wieder jede Menge Entwicklungspotential. Die Preise sind immens in die Höhe geschossen.

Keine Kritik an der Marktentwicklung

Ich bin immer noch ratlos, warum ich nicht ein Wort der Kritik an dieser Entwicklung gelesen habe. Alle Radmagazine haben die Entwicklung einfach nur begleitet. Die Preissteigerungen wurden als gegeben hingenommen. Hinterfragt wurde die Entwicklung nicht. Aufgeklärt wurde nicht. Warum gerieten leichte Bergräder komplett aus dem Fokus?

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Wo sind die Bergräder geblieben?

Vorteile der Scheibenbremse im Profibereich

Zweifellos hat die Scheibenbremse ihre Berechtigung. Im Spitzenbereich, das heißt vor allem im Profisport hat sie ohne Zweifel ihre Berechtigung. Die Fahrtechnik der Profis profitiert sicher von der besseren Bremswirkung. Der Preis des Rades spielt im Profibereich eine untergeordnete Rolle. Die eigenen Mechaniker kommen auch mit der anspruchsvolleren Technik zurecht.

Was stört mich?

Warum stört mich die Entwicklung eigentlich? Es gibt viele Gründe. Ein leichtes Rad zu fahren macht einfach richtig Spaß. Es haut ab wie eine Rakete. Bergauf zählt ohnehin jedes Gramm. Wozu brauche ich ein Aero-Rad wenn ich die Berge liebe?

Ich kümmere mich um mein Rad selbst. Warum soll ich mich mit dem einrichten einer Scheibenbremse beschäftigen, wenn ich mit der Felgenbremse viel leichter klarkomme?

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Die Felgenbremse ist robust und bremst zuverlässig

Ich verstehe nicht, warum es keinen Bedarf an leichten Bergrädern mehr zu geben scheint. Warum fragt diese Räder niemand nach? Ich war schon mal kurz davor aufzugeben und ein Rad mit Scheibenbremsen zu kaufen. Aber warum soll ich viele tausend Euro für ein Rad ausgeben, das nicht besser als mein aktuelles Rad ist und mir auch technisch mehr Probleme bereitet als nötig?

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